Die Frage nach der «Integration» von Geflüchteten in den schweizerischen Arbeitsmarkt hat in den letzten zwei Jahren an Bedeutung gewonnen. 2017 kündete zum Beispiel die blochersche EMS-Chemie an, einer Auswahl an Geflüchteten mittels eines speziellen Programms eine Attestlehre im Konzern zu ermöglichen.[1] Neben diesen privaten Initiativen bemüht sich auch der Bund Geflüchtete in den Arbeitsmarkt zu «integrieren». In fast allen politischen Kreisen werden solche Vorstösse begrüsst und die Verantwortlichen als Wohltäter*innen gefeiert. Hinter diesen «Integrationsprogrammen» stecken aber nicht barmherzige Gefühle, sondern die ökonomischen Interessen der Unternehmer*innen.

von Lernendenkollektiv

«Integration» von jungen Geflüchteten in den Arbeitsmarkt

In jüngster Vergangenheit startete der Bund zwei grössere Projekte, welche vorläufig Aufgenommene (F-Bewilligung) und anerkannte Flüchtlinge (B-Bewilligung) in den Lehrstellen- bzw. den Arbeitsmarkt integrieren sollte. Unter ex-Bundesrat Christoph Blocher wurde 2006 der sogenannte «Riesco-Lehrgang» eingeführt. Dieser sollte es der Gastronomie und im Pflegebereich – traditionelle Niedriglohnbranchen – ermöglichen, junge Geflüchtete nach einer Schnellbleiche als (billige) Arbeitskräfte ausbeuten zu können. Seit 2015, also im Zuge der aktuellen «Flüchtlingswellen», erkannte der Bund in den Geflüchteten erneut das Potenzial, diese mittels einer sogenannten «Flüchtlingslehre» in ausgewählte Branchen integrieren zu können. Diese Lehrgänge sollten den Geflüchteten, neben der Sprache und minimalen Berufskenntnissen, vor allem «Schweizer Werte» und die «Schweizer Arbeitskultur» näherbringen.[2] In anderen Worten: die Geflüchteten sollten von Anfang an lernen, wie man sich als «Schweizer Lohnabhängiger» ausbeuten zu lassen hat.

Die für die «Flüchtlingslehre» vorgesehenen Branchen sind dann auch fast ausschliesslich Niedriglohnbranchen, wo billige Arbeitskräfte benötigt werden: Pflege, Gastronomie, Baugewerbe, die Reinigungsbranche, Haus- und Landwirtschaft sowie in Teilen des öffentlichen Dienstes. Momentan wird noch diskutiert, wie diese «Flüchtlingslehre» genau aussehen soll. Ab 2018 sollte das Projekt starten.

Interessen der Unternehmen

Für die Finanzierung sollten die Kantone aufkommen. Vorgesehen sind Ausgaben von circa 50 Millionen Franken in einem Zeitraum von drei bis vier Jahren. Die Ausgaben der Kantone für diese «Flüchtlingslehren» werden als lohnende Investition bezeichnet, da durch die «Integration» der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt Sozialhilfekosten gespart werden könnten.

Unterstützung bekommen die staatlichen Behörden dabei von den Unternehmerverbänden und ihren politischen Verbündeten. Diese machen keinen Hehl daraus, dass sie aus der Ausbeutung der Arbeitskraft der Geflüchteten Kapital schlagen wollen. In einer Stellungnahme meint der neoliberale ThinkTank Avenir Suisse: «Die Dauer der Lehre sollte so gestaltet werden, dass am Ende eine Phase eintritt, in der die Produktivität der Auszubildenden den Lehrlingslohn übersteigt. Dieser Vorteil entschädigt den Lehrbetrieb für die Investitionen am Anfang des Programms.»[3] Zudem sollte das Programm nicht nur für Jugendliche, sondern auch für Erwachsene bis 35 Jahren offenstehen. Auch die NZZ erkannte in diesem Programm von Anfang an ein Potenzial für die Unternehmer*innen, so «sollen die Löhne der Flüchtlingslehrlinge deutlich unter dem Niveau für ‘Normalangestellte’ liegen. Das kann das Programm für Arbeitgeber attraktiver machen.»[4]

Ausbildung zu Billigarbeitskräften

Teile des Bürgertums, vor allem rechtsnationale und neokonservative Kreise (z.B. der Schweizerische Gewerbeverband und sein Präsident Hans-Ulrich Bigler), sind dennoch gegen eine solche Flüchtlingslehre, da sie eine Abwertung der dualen Berufslehre befürchten. Sie schlagen als Alternative zur eh schon gering qualifizierten «Flüchtlingslehre» den Ausbau der Attestlehren (Eidgenössische Berufsattest, früher: Anlehre) vor.

Unter anderem wegen diesem politischen Druck redet der Bund momentan nur noch von einer «Flüchtlingsvorlehre», was dann mehr oder weniger einer Attestlehre entsprechen würde. Für die Geflüchteten würde dies bedeuten, dass sie nach der «Flüchtlingsvorlehre» noch eine richtige Lehre machen müssten, um ein den Schweizer*innen gleichwertiges Berufszeugnis zu erhalten. Unabhängig davon, wie die Regelung schlussendlich aussehen wird, ist klar, dass das Bürgertum das Ziel verfolgt, billige, prekarisierte, flexibel ausbeutbare und mehr oder weniger recht- und schutzlose Arbeitskräfte zu «produzieren».

Dies zeigt sich deutlich am Beispiel der EMS-Chemie und ihrer Chefin Martullo-Blocher, die den Teilnehmer*innen ihres «Integrationsprogramms» während der 1,5-jährigen Attestlehre keinen Lohn zahlen wird! Und das obwohl die EMS-Chemie 2016 satte Gewinne einstrich und die Blocherfamilie ihr Vermögen in einem Jahr um 4 Milliarden Franken vergrössern konnte.[5] Die Geflüchteten werden also trotz der Anstellung weiterhin Sozialhilfeleistungen beziehen müssen. Nichts desto trotz ist sich Martullo-Blocher nicht zu schade die Behauptung (bzw. die Lüge) aufzustellen, mit ihrem Programm die Sozialwerke zu entlasten.[6]

Geflüchtete als Spielball der Arbeitsmarkt- und Migrationspolitik

Ganz in der Tradition der Schweizer Flüchtlingspolitik werden Geflüchtete in erster Linie als leicht ausbeutbare Arbeitskräfte betrachtet. Sie werden dementsprechend (nicht-)ausgebildet und auf die Branchen im Niedriglohnsektor verteilt, in denen ein Arbeitskräftemangel herrscht. Eine selbständige Berufswahl für die Geflüchteten ist nicht vorgesehen. Zudem ist das vom Bund vorgeschlagene Projekt der «Flüchtlingslehre» auf Personen mit F- oder B-Bewilligung beschränkt. Abgewiesene Asylsuchende und Sans-Papiers sind davon ausgeschlossen, auch wenn klar ist, dass diese Personen die Schweiz nicht so schnell verlassen werden.

Um Geflüchteten tatsächlich Arbeitsmöglichkeiten zu eröffnen, müssen ihnen die gleichen Rechte am Arbeitsplatz wie allen anderen Lohnabhängigen garantiert werden. Denn nur so kann verhindert werden, dass die Geflüchteten einerseits als Billigarbeitskräfte ausgebeutet, und andererseits zu Lohndumpingzwecken als Konkurrent*innen eingesetzt werden.

Diese In-Konkurrenzsetzung von «schweizerischen» und «nicht-schweizerischen» Lohnabhängigen bildet den Nährboden für fremdenfeindlichen Ressentiments. Und solange diese Vorurteile – zusammen mit den unzähligen gesetzlichen Hürden – existieren, wird auch eine «Integration» von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt (bewusst) verhindert.

[1] https://www.nzz.ch/schweiz/aktuelle-themen/arbeitsmarktintegration-martullo-blocher-oeffnet-tore-fuer-ungelernte-und-fluechtlinge-ld.1306076
[2] https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-60094.html
[3] https://www.avenir-suisse.ch/berufslehre_integration_fluechtlinge/
[4] https://www.nzz.ch/wirtschaft/wirtschaftspolitik/die-fluechtlingslehre-braucht-einen-effort-der-wirtschaft-1.18669798
[5] https://www.bilanz.ch/people/300-reichste/300-reichste-die-grossten-aufsteiger-die-grossten-absteiger
[6] https://www.nzz.ch/schweiz/aktuelle-themen/arbeitsmarktintegration-martullo-blocher-oeffnet-tore-fuer-ungelernte-und-fluechtlinge-ld.1306076